Über die Grenzen des Naturerkennens

1872 hat Emile du Bois-Reymond, ein renomierter Naturwissenschaftler aus Berlin, der heute als der Vater der Elektrophysiologie gilt, vor der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig einen viel beachteten Vortrag mit dem Titel 'Über die Grenzen des Naturerkennens' gehalten.
"Die Naturerkenntnis des Laplaceschen Geistes stellt" nach du Bois-Reymond "die höchste denkbare Stufe unseres Naturerkennens vor."
Eine Grenze der Naturerkenntnis, die auch der Laplace'sche Dämon nicht überwinden kann, stellt das Bewusstsein dar.
Du Bois-Reymond schreibt dazu:
"Allein es tritt nunmehr, an irgendeinem Punkt der Entwicklung des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen und auf dessen Bestimmung es hier nicht ankommt, etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum, gleich dem Wesen von Materie und Kraft, und gleich der ersten Bewegung, Unbegreifliches. Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreißt, und unser Naturerkennen gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittig trägt: wir stehen an der anderen Grenze unseres Witzes. Dies neue Unbegreifliche ist das Bewußtsein."
"Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen:"Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot" und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"?
Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff- ,Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne."
Und er schließt mit der Feststellung: "Ignorabimus", wir werden es nicht wissen.

1.8.2023